Viel Lärm um Nichts: "Nothing Company"
Die Gruppe «Faradaycage» ist eine jener jungen Schweizer Theatergruppen, die sich vom nationalen zum internationalen Insidertip entwickelt haben. Ihre jüngste Produktion mit dem Titel «Nothing Company» werden sie nach Aufführungen in Zürich auch in Berlin und in Wien spielen. Am 15. November war Premiere im Zürcher Theaterhaus Gessnerallee.
Wenn FAR A DAY CAGE sich eines Themas annimmt, geschieht dies immer auf den verschiedensten Ebenen – und nicht zuletzt auf der ganz direkt erlebten, der Aufführungssituation im Theater: der, der Künstler und der Zuschauenden selbst. Die Gruppe FAR A DAY CAGE liebt die Schnittstellen, sie durchdringt ihre thematische Vorlage jeweils mit einem weit abgesteckten gedanklichen und theoretischen Fundament, mit einem Materialfundus, der von einem weiten Horizont zeugt. Auf diesem Boden fangen sie dann sozusagen an zu tanzen. Sie spielen mit dem Material ein sehr heutiges Spiel, das Realitäten und Fiktionen aufs Witzigste ineinander verspiegelt und das immer auch ein Spiel mit den Personen der Darstellenden und der Zuschauenden ist. Und es gelingt ihnen auch jetzt wieder, wo sie ihre Theatergedanken auf einer virtuellen Scheinfirma, der Titel gebenden „Nothing Company“ aufbauen, die Komplexität dieser ja nicht ganz simplen Thematik, auf ihre absolut eigene, originelle szenische Ebene zu übertragen – ohne sie vereinfachend zu vergewaltigen.
Die besagte Nothing Company ist eine jener virtuellen Gesellschaften, die keine Produkte verkaufen sondern Träume: kapitalistische Träume, und selbstverständlich treten die jungen Schauspieler im Theaterhaus Gessnerallee im Businessanzug auf, denn sie wollen ja etwas verkaufen, und reden am liebsten Englisch, denn sie sind ja erfolgreich:
Die Funktionsweise aufgeblasener virtueller Firmen wie der beispielgebenden Nothing Company ist ja, um es einmal auf einen ganz einfachen, sozusagen analog gedachten, Nenner zu bringen, dass sie eine „Ordnung schaffen, bei der niemand mehr den Durchblick hat“. Das Verdienst der Gruppe Far A Day Cage ist es, dass sie den Durchblick immer behält. Sie zeigen Typen: die ehrgeizige Drahtzieherin, den smarten Verkäufer, die Rebellen. Sie bauen geschickt erzählerische Abstände und dramaturgische Spannungsmomente ein, zum Beispiel mit einem Kommentar aus dem Off, der das Geschehen auf der Bühne begleitet wie ein Sportkommentar einen Fussball-Match. Sie erweisen sich zuletzt als Moralisten, die eine Nische suchen in dem System, aus dem sie nun einmal nicht heraus können. Und diese Nische kann nur die Kunst sein.
Der Zuschauer bleibt nicht unbeteiligt: Am Anfang denkt er, er hat ein leichtes moralisches Spiel, da es um virtuellen Kapitalismus und Scheinfirmen geht. Dann bangt er einen Moment, die Gruppe verliere das Thema, im Bestreben darum, es konsumierbar aufzubereiten, ans Anekdotische. Bis er erkennt, dass das eigentliche Thema des Abends das Nichts selber ist: Das ist klug gedacht und theatersinnlich gemacht. Auch mit dieser Produktion zeigt Far A Day Cage, dass sie eine der nicht gar so vielen neuen Schweizer Theatergruppen ist, die einen Sinn für Fragen der Zeit mit einer ganz eigenen, packenden künstlerischen Handschrift zu verbinden wissen.
(Radio DRS 2/ Kultur; 16. November 2007/ Andreas Klaeui)
Hier können Sie den gesamten Bericht mit Szenenausschnitten HÖREN.
Turbotheater im Kapitalismus
Die Zürcher Gruppe Far A Day Cage um Regisseur Tomas Schweigen hat eine «Nothing Company» gegründet und führt den Zuschauer damit durch die durchökonomisierte Welt.
Wenn weniger mehr ist, dann ist nichts alles. Klingt logisch. Wie so vieles an diesem Abend, der den marktwirtschaftlichen Gesetzen folgt bis zum bitteren Ende. Es gibt kein Aussen. Das gilt für den Markt ebenso wie für die Kunst. Und es gilt für diesen Abend, der folgerichtig immer auch sich selbst kommentiert.
Grosskonzerne nehmen sich die selbstausbeuterischen Arbeitsformen der Künstler zum Vorbild, werben mit Guerillamarketing und finden willige Billigstarbeiter im Internet. Wer dem allgegenwärtigen Markt etwas entgegensetzen will, der muss ihn mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Zum Beispiel mit dem Startup-Unternehmen «Nothing Company». Mit Slogans wie «When nothing becomes everything» verkauft die Firma gute Laune und Selbstwertgefühl. Sie gibt sich flexibel, nutzt kollektive Strukturen (die nur vordergründig die Hierarchien kaschieren) und beschäftigt weltweit Tausende von Mitarbeitern, die in kleinen Kabäuschen aus Pappe sitzen (Bühne: Stephan Weber).
Parodien auf Microsoft
Nicht nur das Produkt, auch das Unternehmen lebt von Äusserlichkeiten. Es gibt Pressekonferenzen, Büropartys und den Zwang zur Kommunikation auf neudeutsch. Die Parodien auf Microsoft und Konsorten sind witzig, kommen aber noch etwas steif und bemüht gespielt daher. Bis die Situation ausser Kontrolle gerät: Erst erfährt man, dass die «Nothing Company» eigentlich eine unkonventionelle Form von Entwicklungshilfe betreibt. Dann entpuppt sich die Mitarbeiterin des Monats als Internetterroristin, welche die Firma für ihre eigenen Ziele missbraucht: dem erwarteten Kollaps des Marktes ein bisschen nachzuhelfen. Nun entwickelt sich das Ganze zu einem abgedrehten Krimi. Je komplexer und auswegloser die Situation, desto dichter wird das Stück und desto besser die Performer (Philippe Graff, Vera von Gunten, Silvester von Hösslin, Jesse Inman, Andrea Schmid, Stephan Weber).
Denn die Theatergruppe Far A Day Cage steckt ja mitten drin in den dargestellten Zusammenhängen. Auch für sie gibt es kein Aussen: Die junge Zürcher Gruppe ist erfolgreich wie nie. Das aber bedingt, sich dem Mainstream ein bisschen anzunähern: mit Unterhaltung – und mit Politik. Ein Schauspieler erklärt, dass sich ein Stück über das Nichts nicht halb so gut verkauft hätte wie ein Stück über das Nichts plus die ökonomischen Zusammenhänge. Das eigene Tun wird auch durch einen witzigen Audiokommentar der Autorin Laura de Weck ergänzt – und logischerweise wird irgendwann auch dieser von den Terroristen gekapert.
Es ist eine Stärke des Abends, dass alle abstrusen Wendungen immer nachvollziehbar erscheinen. So geht man willig mit auf die irre Reise durch den Turbokapitalismus, bis dahin, wo man schon am Anfang war, nämlich mittendrin. Ein letzter Versuch, eine letzte Strategie: Einfachheit, Naivität, Optimismus. Doch die sind leider schon besetzt, natürlich von Grosskonzernen: Just do it.
(Tagesanzeiger, 17. November 2007/ Felizitas Ammann)
NOTHING COMPANY
Rien n’est impossible (à qui croit) : allons de l’avant, autrement dit. Tomas Schweigen (régie, 30) propose comme mot de la fin du spectacle NOTHING COMPANY: « Impossible is nothing ». Dans cette nouvelle comédie, qui nous fait rire de son substrat tragique (comme toute bonne comédie), la jeune troupe zurichoise Far A Day Cage (FADC) fait danser l’attention du public entre fiction et réalité avec pour thème : rien (non pas le rien), conséquence inexorable de ce double jeu. Ce n’est plus le « que faire ? », mais « qu’est-ce que la réalité ? ». Ennuyeux palabre philosophique? Au contraire, l’habile mise en scène qui sait jouer avec brio sur plusieurs plans de récit à la fois, en fait un spectacle drôle avec, au pluriel, queues et têtes. Voilà ce que nous avons à vous offrir, une intensification sans pareil de votre plaisir à la consommation : des emballages avec enfin! rien dedans. Nous-mêmes, la NOTHING COMPANY, quittons aujourd’hui l’espace tridimensionnel et nous nous jetons, sur la lancée de notre succès fulgurant, dans la toile à deux dimensions. Nécessaire dimensionnement en faveur d’une efficacité accrue : un réel aplatissement de nos structures. C’est le début fulminant de cette entreprise sur scène, dont les spectateurs sont peut-être actionnaires sans le savoir, à travers quelque fonds de pension par exemple…Mais où conduit cet acte de marketing génial ? Allez vivre le destin de (votre) NOTHING COMPANY à la Gessnerallee, cela en vaut la peine et vous en ressortez vivant, légèrement déphasé, ce qui ne manque pas d’être excitant. Dans cet emballage il y a donc quelque chose.
DEUTSCH:
NOTHING COMPANY
Nichts ist unmöglich (für den der glaubt), anders gesagt: schreiten wir voran. Tomas Schweigen (Regie, 30) setzt als letztes Wort des Stückes Nothing Company: "Impossible is nothing". In dieser neuen Komödie, die uns (wie jede gute Komödie) vor tragischem Hintergrund zum Lachen bringt, spielt die junge Zürcher Gruppe Far A Day Cage (FADC) mit der Aufmerksamkeit des Publikums zwischen Fiktion und Realität zum Thema: nichts (und nicht das Nichts), als unerbittliche Schlussfolgerung dieses doppelten Spiels. Nicht mehr "Was tun?" ist die Frage, sondern "Was ist die Realität?". Langweiliges philosophisches Palaver? Im Gegenteil, die geschickte Inszenierung spielt brillant auf mehreren Erzählebenen gleichzeitig und macht daraus ein witziges Stück das - tatsächlich in der Mehrzahl - Hände und Füße hat. Wir offerieren Ihnen eine beispiellose Intensivierung Ihres Konsumerlebnisses: Verpackungen mit, endlich!, nichts darin. Wir selbst, die NOTHING COMPANY, verlassen heute den dreidimensionalen Raum und werfen uns im Überschwang unseres rasanten Erfolgs in das zweidimensionale Netz. Ein notwendiger Neuzuschnitt zugunsten einer gesteigerten Effizienz: eine tatsächliche Verflachung unserer Strukturen. Das ist der fulminante Anfang dieses Bühnen-Unternehmens, dessen Aktionäre die Zuschauer womöglich ohne es zu wissen sind, zum Beispiel mittels irgendeines Rentenfonds... Aber wohin führt dieser geniale Marketingcoup? Erleben Sie das Schicksal (Ihrer) NOTHING COMPANY in der Gessnerallee, es lohnt sich, und sie werden das Stück zwar lebendig, aber auch leicht neben der Spur verlassen, was aber durchaus aufregend ist. In dieser Verpackung befindet sich also etwas.
(AUX ARTS ETC., 17. November 2007/ Laurent Gaillard)
Lukrative Geschäftsidee eines Handels mit nichts
Irritierend, verrückt, vielschichtig und sehr erheiternd: Die Gruppe Far A Day Cage um Regisseur Tomas Schweigen zeigte am Donnerstag im Theaterhaus Gessnerallee in Zürich erstmals ihr neues Stück "Nothing Company".
Ist der Mann noch bei Sinnen? Fast schüchtern tritt er vors Publikum, ein smarter Jungmanager, gut gekleidet, gut frisiert. Er kündigt eine Pressekonferenz an - und plötzlich fährt er aus seiner Haut. Wie ein wütender Stier rast er über die Bühne, verwirft die Arme, hüpft, johlt, hält dann kurz inne, verschnauft und brüllt mit hochrotem Kopf: "I have four words for you: I love this company!"
Kreierter Produktionsprozess
Überdrehtes Theater? Nein, Wirklichkeit. Genau so nämlich stampfte Steve Ballmer, CEO des amerikanischen Software-Unternehmens Microsoft, 2001 seine Liebe zu seiner Firma in die Gehirne der Medienleute. Ein legendärer Auftritt, der dank seiner unglaublichen Absurdität um die Welt gegangen und noch heute im Internet auf Youtube zu konsumieren ist.
Absurd erscheint auch die Geschichte, die der Regisseur Tomas Schweigen zusammen mit seiner hervorragenden sechsköpfigen Far-A-Day-Cage-Truppe derzeit im Theaterhaus Gessnerallee in Zürich erzählt. Die Schauspielgruppe stellt sich bei jedem Projekt aufs Neue die Aufgabe, einen ganz spezifischen, auf Inhalt und Form des Projekts zugeschnittenen Produktionsprozess zu kreieren und diesen bis zur letzten Aufführung weiterzuverfolgen, gegebenenfalls anzupassen, jedenfalls aber auf der Bühne sichtbar werden zu lassen. So entstehen Unikate, welchen der eingearbeitete Produktionsprozess als zusätzliche Erzählebene dient. Ebenen werden ständig gewechselt, gebrochen, neu erschaffen, sodass die Grenzen zwischen (Theater-)Realität und Fiktion verschwimmen.
"Nothing Company" erzählt die Geschichte einer Firma, die sich wie Microsoft zu einem Globalplayer entwickelt hat und Gewinn bringenden Handel treibt mit dem Immateriellen. Microsoft verkauft Software, die "Nothing Company" das Nichts.
Verschiedene Ebenen
Regisseur Schweigen erzählt die Geschichte mit Raffinesse. Gemütlichkeit lässt er nicht aufkommen, die Brüche, die er fortwährend inszeniert, fordern vom Publikum hundertprozentige Aufmerksamkeit.
Der Regisseur ist ein medialer Vielschichtler. Er treibt die Firmengeschichte vorwärts bis zu Mord und Totschlag, bis zum grossen Crash. Dazwischen wechselt er immer wieder die Ebene, lässt das Publikum auch hinter die Bühne blicken und horchen. Medial schafft er das mit Videos und indem er dem Publikum über Kopfhörer kommentierende Gesprächsfetzen zugänglich macht. Gesprächsfetzen zwischen ihm und der Autorin Laura de Weck, die diese Texte geschrieben hat. Auf diesem Weg erfährt das Publikum auch erheiternde Internas aus dem Probenbetrieb.
Ein selbstironisches Theaterstück
"Nothing Company" ist so nicht einfach eine freche Satire über die globalisierte Wirtschaft, sondern entwickelt sich gleichzeitig zu einem selbstreflexiven und selbstironischen Stück Theater. Es experimentiert mit sich, mit dem Publikum, ist an einigen Stellen sehr lang, an anderen unausgereift und hinterlässt trotz solcher Unzulänglichkeiten einen hervorragenden und bleibenden Eindruck.
Innovatives Theater ist "Nothing Company" auch dank dem Bühnenbildner Stephan Weber, den Regisseur Schweigen als Konstrukteur der kalten, gefängnisartigen Bürolandschaft verpflichtet hat, der sich aber zur Freude des Publikums immer wieder auch kommentierend in die Produktion einmischt.
(Die Südostschweiz, 17. November 2007/ Karl Wüst)
Nichts zu verkaufen: "Nothing Company" im Theaterhaus Gessnerallee
Der Name ist Programm: Die Nothing Company verkauft Nichts, was natürlich nicht heisst, dass sie nichts verkaufen würde – sie verkauft vielmehr das Nichts, in über 2500 Filialen weltweit.
«There is no product, it's your dream!», sagt der Big Boss der Firma an einer Pressekonferenz stolz. Er tritt auf wie ein Popstar und verkündet, dass sämtliche Geschäfte geschlossen würden und das Nichts künftig nur noch übers Internet zu erwerben sei.
In ihrer neuen Produktion befasst sich die Zürcher Theatergruppe Far A Day Cage um den Regisseur Tomas Schweigen mit den Auswüchsen des Kapitalismus. Auf der Bühne des Theaterhauses Gessnerallee reiht sich ein weisses Kartonhäuschen ans andere. Das Publikum erfährt, dass es sich dabei um WSPs handelt, was nichts anderes ist als die Abkürzung für «working spaces», also Arbeitsplätze. Doch wer spricht schon Deutsch in dieser Welt der boomenden Firmen? Wenn der Schauspieler Silvester von Hösslin in der Rolle eines neuen Angestellten der Nothing Company seine Begrüssungsansprache in haarsträubendem Englisch hält, so ist dies urkomisch.
Überhaupt gelingt es Far A Day Cage, den extremen Kapitalismus auf witzige und unterhaltsame Art zu karikieren. Irgendwann platzt die Wirtschaftsblase (symbolisch dargestellt durch einen riesigen Luftballon, der mir nichts, dir nichts schrumpft) – und wir befinden uns in einer «postökonomischen Gesellschaft». Was im letzten Drittel der rund 80-minütigen Aufführung auf der Bühne geschieht, ist zunehmend wirr und auch etwas bemühend. Die zwei Schauspielerinnen und vier Schauspieler versuchen in einer Szene beispielsweise, das Nichts darzustellen, wobei sie sich in die Haare geraten, weil jede(r) die Sache anders anpacken würde. Das Spiel mit Metaebenen ist sowieso ein wichtiges gestalterisches Element in «Nothing Company». So hört das Publikum über Kopfhörer, die unter den Sitzen bereitliegen, immer wieder Audiokommentare zum Geschehen auf der Bühne, verfasst von der jungen Theaterautorin Laura de Weck. Da werden Schauspieler kritisiert und belobigt, Pointen angekündigt oder Szenen erklärt – natürlich alles auf sehr ironische Weise. Wer übrigens einen ersten Einblick in die Welt von «Nothing Company» wünscht, hat auf www.nothing-company.com die Gelegenheit dazu.
(Neue Zürcher Zeitung, 19. November 2007/ Anne Suter)
VORANKÜNDIGUNGEN:
FÜR DEN KLEINEN WIDERSTAND
Ob der Kapitalismus eine Falle ohne Ausweg ist, untersucht die gefeierte Zürcher Gruppe Far A Day Cage jetzt in einem grossen Planspiel.
Gibt es eine Gesellschaft nach dem Kapitalismus? - Die Frage nach dem Leben in der so genannten Post-Ökonomie stand am Anfang des neuen Projekts der Zürcher Gruppe Far A Day Cage, das nun im Theaterhaus Gessnerallee uraufgeführt wird. Es titelt «Nothing Company». Aber diesmal ist, wo «nichts» draufsteht, eine ganze Menge drin. Denn wenn die 2004 von Regisseur Tomas Schweigen und Schauspielerin Vera von Gunten gegründete Formation recherchiert, dann irrlichtert eine kleine Bibliothek durch den Text: in diesem Fall Utopien aus verschiedenen Jahrhunderten, von Henry David Thoreaus Visionen bis zu terroristischen Fantasien, arrangiert von Tomas Schweigen.
Der 1977 in Wien geborene Wahlzürcher hat sie so arrangiert, dass - getreu kapitalistischer Verkaufslogik - der Fun nicht zu kurz kommt, sagt er. «Nothing Company» ist eine Art Wirtschaftskrimi. Wir folgen einer Firma, die Riesenunternehmen wie Google nachempfunden ist und eine eigene Firmenethik kultiviert, auf ihren Wegen und Abwegen.» Und auf ihren vermeintlichen Auswegen aus der kapitalistischen Verflechtungslogik. Doch dass die «kapitalistische Falle» (Schweigen) keine Horizonte für einen ultimativen Ausbruch eröffnet, ist klar.
Die Selbstironie spielt denn auch in diesem Far-A-Day-Cage-Stück eine grosse Rolle: So hoch subventioniert wie jetzt wurde die Gruppe noch nie - die Gelder kommen aus Wien, Berlin und Zürich. Far A Day Cage ist ein Shootingstar der freien Szene: «Das Wort ‹frei› ist in dem Zusammenhang relativ», meint Schweigen. «Der Schritt vom subversiven Kunstwerk zum Mainstream-Produkt ist heute meistens winzig klein. Alles wird sofort aufgesogen und neutralisiert.» Das Musikbusiness, die kommerzialisierte Internetwelt - all dies soll die Soiree aufgreifen und subtil kommentieren. Lösungen können die Theatermacher nicht produzieren. «Aber ein Gefühl für den kleinen Widerstand im grossen System schon.»
(züritipp; 14. November 2007/ Alexandra Kedves)
Bitgespinste
Anhand einer Firma an der Schnittstelle von Realität und Fiktion macht sich die Theatergruppe Far A Day Cage auf, den Kapitalismus nach dem Kapitalismus zu erforschen.
Du hast eine Idee? Dann mach eine Website draus, deklariere sie als «Beta» (weil sie ja irgendwann noch viel besser werden kann) und warte darauf, dass Microsoft, Yahoo oder Google sie aufkauft. Und wenn man keine Idee hat, kopiert man einfach die Idee eines anderen, und lässt dann im Firmennamen ein paar Vokale falln, um sich so vn dr Knkurrnz abzuheben. Ob diese Websites auch Geld abwerfen oder nicht, spielt keine Rolle: es könnte ja the next big thing sein. So funktioniert heutzutage Wirtschaft – zumindest im Internet. Da entstehen in kürzester Zeit Firmen mit hunderten Mitarbeitern, die viel Geld zur Verfügung haben. Doch was machen sie damit? Was machen sie überhaupt?Am I really here or is it just marketing?
«Nothing Company» ist ein Spiel. Ein Spiel mit Realität und Fiktion, ein Spiel mit der Fassade von Marketing und Werbung und dem, was dahinter wirklich existiert. Nichts, wie der Name vermuten lässt? Nicht notwendigerweise, denn die Nothing Company hat einen Laden, den X Store (der in Fribourg vom 30. Juni bis 3. Juli geöffnet war) und eine eigene Website (http://www.nothing-company.com/) – was deutlich mehr ist, als die meisten fiktiven Firmen von sich behaupten können.
Hinter dem Blendwerk der Brand «Nothing Company» macht sich die Zürcher Theatergruppe Far A Day Cage auf die Suche nach dem Post-Kapitalismus. Wenn wir davon ausgehen, dass der Kapitalismus nur ein Modell unter vielen ist, das irgendeinmal nicht mehr funktionieren kann – was folgt dann? Die Gruppe nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise zwischen Google-Ethik und Guerilla-Marketing hinein in eine Utopie, die sich als Labyrinth aus Fiktions- und Realitätsebenen, als Ritt durch Theater, Meta- und Meta-Meta-Theater herausstellt. «Kapitalismus ist ein komplexes Thema», erklärt Tomas Schweigen, der Regisseur von «Nothing Company». «Wir versuchen, diese Komplexität auf der Bühne zu simulieren, und beim Zuschauer einen Overkill mit versteckten und offensichtlichen Informationen zu verursachen. Als roter Faden dient deshalb ein Audiokommentar von Laura de Weck, der das Ganze wieder konsumierbar machen soll.»
Far A Day Cage, das geistige Kind von Tomas Schweigen und Vera von Gunten, beides ehemalige Studenten der HMT Zürich, hat sich in den drei Jahren seiner Existenz einen Namen gemacht – vor allem mit Produktionen, die Grenzgänge zwischen klassischem Theater, Performances und zwischendurch sogar Hörspielen sind. Immer wieder wird dabei auch der Prozess des Theatermachens auf der Bühne reflektiert. Eine weitere Fassade also, die durchbrochen wird. Für Tomas Schweigen ist es wichtig, den Zuschauer nicht aus den Augen zu verlieren. Selbst wenn Far A Day Cage ernste gesellschaftspolitische Themen angreift, muss ein bisschen Spass erlaubt sein – ohne eine gehörige Portion Ironie geht nichts.
«Nothing Company» bildet den Abschluss der «Utopia-Trilogie» von Far A Day Cage, der «GANG BANG. Eine Betriebsanleitung für erfolgreiches Arbeiten im Kollektiv» und «Salon Utopica» vorausgegangen sind. Die Recherchen für das erste Stück ergab so viel Material, dass sich Far A Day Cage entschloss, dieses in weiteren Produktionen zu verarbeiten. Selbst jetzt, während der Proben zu «Nothing Company», finden sich weitere Ideen, die aufgenommen werden wollen. Far A Day Cage liefern an der Première kein Produkt ab, das in den folgenden Aufführungen bloss wiederholt wird. Stattdessen versucht Regisseur Tomas Schweigen weiterhin dabeizusein, auf die Publikumsreaktionen einzugehen, Szenen zu perfektionieren und neues Recherchematerial einzubauen. Gut möglich, dass die Versionen von «Nothing Company», die später in Wien und Berlin zu sehen werden sein, sich von der Premièrenaufführung am 15. November im Theaterhaus Gessnerallee unterscheiden. Theater als eine Public Beta, sozusagen.
(ensuite; November 2007/ Kaspar Manz)