SRF 2 Kultur Kompakt 9.5.2014



Rituale brauchen wir, auf Schritt und Tritt begegnen sie uns. Sei es das Begrüssungsküsschen oder das Schlaflied, das Feierabendbier – wir brauchen sie!
Rituale brauchen Theatralität um zu funktionieren. Was also liegt näher für eine schlaue Theatertruppe wie Far A Day Cage als sich auf der Bühne mit Ritualen zu befassen. Far A Day Cage hat sich einen Namen gemacht mit hintergründig unterhaltsamen clever gebauten Theaterabenden die das Bauen von Theaterabenden immer mitreflektieren. Seit zwei Spielzeiten ist die Zürcher Theatercompagnie Group in Residence am Theater Basel. MUMBO JUMBO heisst ihre jüngste Produktion. Andreas Klaeui hat gestern Abend im Theater Basel die Premiere gesehen.
(Einspielung)
Rituale sind ein sozialer Zauber. Sie kommen da zum Zug wo es viskos wird. In schwierigen Momenten, bei Übergängen und Konflikten. In der Krise, wo ein gewohnter Gang aus dem Tritt gerät. Eine Regel verletzt ist und deshalb, andersherum angeschaut, eine Veränderung möglich ist. Krise und Verwandlung, sind das ureigene Terrain des Theaters. Aber auch der Familie.
(Einspielung)
Also erzählt Far A Day Cage für ihre Ritualrecherche die Geschichte einer Familie. Ein Familiendrama das sich über mehre Generationen erstreckt in dem sich die Konflikte fortpflanzen wie Haar- und Augenfarbe.
(Einspielung)
Mit dem Ritual einer sogenannten Familienaufstellung beginnt es, wie sie der Priester Bert Hellinger zur Konfliktlösung vorschlägt. Mit der Theatergruppe die sich ein Stück erarbeitet geht es weiter. Das ist bei Far A Day Cage das ästhetische Prinzip. Recherche, Fiktion und Produktionsrealität gehen in einander auf. Bühnenfigur, Schauspieler, Zuschauer treffen sich im Spiel der Ebenen und Metaebenen und Regisseur, Bühnenbildner und Autorin obendrein.
(Einspielung)
Die Erzählfäden geraten aufs amüsanteste durcheinander. Die Situationen verspiegeln sich ins Bodenlose. Die eben erst erschaffene Bühnenfigur will sich schon der dramaturgischen Kontrolle entziehen. Die Theaterproduzenten geraten selber in eine wilde Zeremonie. Einfühlung und Verfremdung überblenden sich, auch das Publikum im Saal wird eingespannt zum gemeinsamen Ritual.
Das hat Witz, es hat Charme, es ist dicht, es ist virtuos und ausstrahlungsreich. Es ist klug gedacht und Theater sinnlich gemacht. Und es ist – wie jedes richtige Ritual – auch ein Stück Lebenserklärung.

(Andreas Klaeui, SRF 2, 9.5.2014)

Krach, Geburt und Schamanismus


Die freie Gruppe FADC brilliert mit "Mumbo Jumbo" im Basler Schauspielhaus

Es lässt sich schwerlich schreiben, man käme bei "Mumbo Jumbo" kaum einmal aus dem Dauer-Grinsen heraus. Zwar ging es vielen und auch der Rezensentin während der pausenlosen 85 Minuten genau so, und der Schlussapplaus war ein herzlicher; doch die Premiere (wir besuchten die zweite Aufführung) erntete teils entnervte Verrisse und wohl auch echte Heraus-Stürmer, neben dem Statisten-Empörer-Paar im Parkett. Was ist da los?
Zunächst: Tätig ist die freie Zürcher Theatergruppe FADC, die seit der letzten Spielzeit vorübergehend am Theater Basel residiert und frischen Wind ins tranig gewordene Schauspiel bläst. Gezeigt wird: "Mumbo Jumbo. Ein simultanes Familiendrama", so der Titel, und simultan daran ist zunächst, dass neben dem "Drama" eine junge Theatergruppe ein Stück über Rituale entwickelt.
Diese beiden Settings - Familiendrama und Performancegruppe bei der Arbeit - sind im Basler Schauspielhaus wie im geteilten Bildschirm in zwei Bühnenkästen nebeneinander installiert: Familie linkerhand in biederer Wohnstube mit warmgelbem Behalglicht, Performancegruppe rechts in nüchtern-kalt-weissem Arbeitsraum. Das ist das Ausgangs-Material. Die Performer sammeln Ideen fürs Stück, Bühnenbildner Stephan Weber (mitagierend, wie meist bei FADC), erklärt das Modell seiner Bühne - auf eben dieser Bühne; Mareike Sedl präsentiert einen Einfall für den Anfang des Stücks - nachdem wir genau diese Eröffnung, die hier erdacht wird, zu Beginn schon erleben durften. Das war auch schon nett: Julian Hackenberg tritt als Bert Hellinger Erfinder des umstrittenen Psychotherapieansatzes der Familienaufstellung - an der Rampe und erklärt predigerhauft in freundlicher Psychofritzen-Manier seine Methode. Dabei verbreitet er neben Belustigung auch Furcht, weil er Einzelne aus dem Publikum holen zu wollen scheint (nicht das letzte Mal, dass leises Bangen uns Zuschauer eint).
Neben ihm übersetzt Jesse Inman virtuos ins Mumbo Jumbo (Kauderwelsch). Hackenberg sieht man bald wieder als Mitglied der Familie, deren Geschichte im Familienkasten links in grossen Schritten bis 1900 zurückerzählt wird (herrlich etwa das 80er-Outfit: Kostüme Anne Buffetrille). Geschauspielert wird wie in Anführungsstrichen: Die Darsteller (Chantal Le Moign oder Florian Müller-Morungen) verstehen ja bekanntlich zu packen, wenn sie wollen, aber darum geht es in den beiden Kästen weniger. Meistens. Sondern um Rituale, Gemeinschaft, Konfliktlösung. Und mehr noch um eine in der Form neue und unverschämt gutgelaunte Art des theatralen Zugriffs auf dein Stück Welt.
Natürlich bleiben die Menschengruppen aus beiden Bühnenräumen nicht getrennt ("Hast DU den hier ins ZImmer geschreiben?!"), zudem wird der Raum davor und dazwischen immer spannender, Afrika winkt hier und da, und Regisseur (und mit Darstellerin Vera von Gunten FADC_Mitbegründer) Tomas Schawigen beginnt, die Ebenen und Stoffe auf so spielerisch-genialisch-frohgemute Weise zu dekonsturieren und in einem Aberwitzigen Feuerwerk von Einfällen (und Pyrotechnik) zu verflechten, dass das Ganze etwas geradezu Zirzensisches hat: Gedanken-Jonglage in sinnenfohester Ausführung, samt Krach, Geburt und Schamanismus. Ein ungewöhnliches Vergnügen!

(Johanna Otter, Kultur Joker Freiburg, Juni 2014)