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Hört doch einfach den Song! Mann!
Erzähl mir das Lied vom Tod der Sixties: Das Theater Basel untersucht BOB DYLANS Jahrhundertsong „Like a Rolling Stone“. Am 15. Juni 1965 entsteht der grösste Song aller Zeiten: Bob Dylans „Like a Rolling Stone.“ Tomas Schweigen erzählt mit ihm vom Traum der Sechziger.
Wenn die Musik privat wird, schleicht sich die Revolution: zu zweit schwofen sie, den Song im iPod, die Stöpsel im Ohr: “Gleich kommt meine Lieblingsstelle.“ Zu hören ist nichts, aber es sieht echt nett aus. Was hat Bob Dylans „Like a Rolling Stone“, diese wüste Hymne von 1965, für viele der wichtigste Rocksong aller Zeiten, heute noch zu sagen? Wie konnten diese 6:13 Minuten zu diesem Monster werden, dem popgelehrte Kulturwissenschaftler ganze Bücher widmen?
Das ist nicht die Frage, die Tomas Schweigen mit seiner Gruppe Far A Day Cage und Schauspielern des Ensembles im Basler Schauspielhaus umtreibt. Schweigen erzählt die Geschichte der Sechziger und benutzt „Like a Rolling Stone“ als Brennglas. Schon die Tex-Mex-Wüste, in der Bühnenbildner Stephan Weber einen Trailer stranden lässt, liefert das Panorama, das „Highway 61“ erkunden wird, das Album, das „Like a Rolling Stone“ eröffnet. Dylan entsteigt einer Topographie zwischen den Beatniks der Lost Generation, bis er mit Hank Williams’ „Lost Highway“ im Ohr und der bürgerrechtsbewegten Gitarre von Woody Guthrie unter dem Arm in New York aufschlägt. In einer fröhlichen, bunt-parodistischen Nummernrevue zieht alles vorbei, was in diese frühe Karriere gehört, Martin Luther King, der Blues, Kennedy, Warhol, die Buhs, die Drogen, der Zynismus.
All das wird detailverliebt und mit viel Humor in Szene gesetzt. Jesse Inman dürfte gerne das ganze Jahr in Allen Ginsbergs Schlappen den Beat-Propheten geben, Martin Hug taut als Country-Sänger gross auf, und Joanna Kapsch singt erst Odettas Blues, später Janis Joplins „Move over“ - und geht so den Weg der Sixties, vom Aufbruch bis zum Verfall der Szene und dem Ende im Drogensumpf.
Mit grossem Vergnügen arbeiten Schweigen & Co die Bilder ab, die zum Dylan-Mythos gehören: die surrealen Pressekonferenzen aus D.A. Pennebakers „Don’t Look Back“, das Honoratioren-Gewäsch („Irgendetwas läuft hier, aber du blickst nicht, was es ist“), sie kleiden Dylan in seine Plattencover, stellen sein Mikro korrekt zu niedrig, und bedienen sich eifrig bei Martin Scorseses „No Direction Home“. Der Doku, die die Biografie des Songs schon viel ausführlicher erzählt hat.
Woran liegt es, dass der Abend dem nicht mehr viel hinzufügt? Vieles ist zwar technisch brillant, einfallsreich und so toll gespielt wie gesungen. Man wird die meiste Zeit über gut bis blendend unterhalten. Doch schon die neu eingespielten Lieder bleiben so nah an den Originalen, dass man sich fragt, warum sie nicht stärker abgeklopft werden. Für Dylan gilt das genauso.
Die Truppe hätte locker das Zeug weiterzugehen, das zeigen sie immer wieder. Da wird der junge Dylan als „Protestsänger“ angekündigt, trägt zwar die viel zu grosse „Freewheelin“-Jacke und hat Suze Rotolo im Arm. Zoe Hutmacher wird aber raffiniert Synchronisiert: Die viel zu übersehene „Ballade in Plain D“ über Liebe, Affären und Schuld ist ganz sicher kein Protestlied.
Bald schon zischt Silvester von Hösslin hinter Dylans schwarzer Ray-Ban-Brille: „Ich habe keine Zeit für die Slogans da draussen.“
Schnitt! Und John F. Kennedy zerhaspelt seine grosse Vision vom Mann auf dem Mond, bis vom Pathos nur noch Dada bleibt. Eine zitierte Dylan-Szene mit neuem Text und grosser Wirkung. Der Beatnik wendet sich ab. Bald schon knallen die Schüsse und Vera von Gunten müht sich in einer Slapstick-Nummer als Jackie Kennedy, ihren Mann als Monument aufzustellen.
Höhepunkt des Abends aber ist der 15. Juni 1965: Ein Aufnahmestudio fährt aus dem Bühnenboden, die Musiker werden von Aussen synchronisiert, und zur stummen Musik durchstolpern sie die Aufnahmesessions, die Greil Markus transkribiert hat. Ein bisschen Stümperei, viel Zufall, bis es im 4/4-Takt klikt - und die Band im magischen Moment ins Mythische entschwebt. Das zwinkert dem „Rolling Stone“-Mythos fröhlich und doch respektvoll zu. Schön.
Danach bleibt der Abend stehen. Philippe Graff gibt einen wirr-coolen Andy Warhol, in dessen Factory sich die Szene vor lauter Selbstbezogenheit selbst aushöhlt - das dauert aber länger, als Dylan ihr je anhing. Doch prophezeit er in „Like a Rolling Stone“ nicht den Absturz der Warhol-Muse Edie Sedgwick? Wenn später ein GI von Vietnam und Martin Luther Kings Tod erzählt, zuckt der Traum der Sixties nur noch im Drogendelirium. Von Dylan ist folgerichtig nichts mehr zu sehen. Er hatte damit nichts mehr zu tun.
Am Ende quälen sich bei Arbeitslicht die Exegeten. Geht es nicht doch um Jackie Kennedy, gar Dylan selbst? Um das Ende der Sixties, bevor sie richtig begonnen haben? Gleich ganz Amerika? Bis es einer stinkt: „Jetzt macht die Augen zu und hört den Song!“ In der Prärie lodert das Lagerfeuer, dann knallt die Snare Drum, das Klavier beginnt sein munteres Gurgeln, dann der sengende Gitarrenjodel und diese scharfe, schneidende Stimme: „Once Upon a Time“ - es war einmal. Was für ein Lied. Aber hätte es nicht noch andere Fragen gegeben?
(Der Sonntag, René Zipperlein, 10. Februar 2013)
Das Gefühl der Befreiung
Das Stück „Like A Rolling Stone“ feiert Premiere
Der erst 24-jährige Bob Dylan schrieb mit dem Song „Like A Rolling Stone“ 1965 Musikgeschichte. Von den CD-Regalen nicht mehr wegzudenken und vom „Rolling Stone“- Magazin zum besten Song aller Zeiten erkoren, ist die Faszination dieses Songs bis heute ungebrochen. Nun hat Tomas Schweigen über Dylans Meisterwerk ein Stück geschrieben, das heute Premiere feiert. Zum ersten Mal wird ein Song inszeniert, wobei nicht die Nacherzählung des Songtexts im Vordergrund steht, sondern die Zeit, in der der Song entstand. Das Stück lebt die Gefühle aus, die in den 60-er Jahren in den USA spürbar waren, nämlich das Gefühl der Befreiung, die Sehnsucht nach einem Neuanfang und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
(Basler Zeitung, 8.2.2012)
«How does it feel?»
«Like a Rolling Stone» nach und über den gleichnamigen Jahrhundertsong von Bob Dylan ist ein zauberhaft vergnüglicher Theaterabend – etwas zu zauberhaft und vergnüglich indes, dass er wirklich in tiefere Gefilde vorzudrungen vermag.
Bob Dylan «Like a Rolling Stone»: Philippe Graff (Bild: Judith Schlosser)
Der US-amerikanische Musikkritiker Greil Marcus hat – und das ist wohl einzigartig – ein ganzes Buch über diesen einen Song geschrieben. 300 Seiten über ein Lied, das rund sechs Minuten dauert. Aber ein Song, der einen, hört man sich ihn erneut an, wiederholt, immer und immer wieder, nicht mehr loslässt. «Like a Rolling Stone» von Bob Dylan aus dem Jahre 1965. Eine breit angelegte Spezialistenumfrage in der legendären Musikzeitschrift «Rolling Stone» kürte diesen Song 2004 zum «Greatest Songs of All Time». Das Theater Basel oder besser Tomas Schweigens eingebettete Truppe Far A Day Cage (FADC) widmet diesem Song (und seinem historischen Umfeld) nun im Basler Schauspielhaus einen gut anderthalbstündigen Theaterabend. Und eines muss man diesem Bühnenessay ganz sicher lassen: Wohl kaum jemand im Zuschauerraum, auch wenn man bis dahin nicht zu den grossen Dylan-Fans gehörte, zweifelt am Schluss daran, dass «Like a Rolling Stone» ein Meilenstein der Musikgeschichte ist.
Wie kommt nun eine Schauspieltruppe darauf, einen Theaterabend über oder rund um einen Song zu spielen, der zu einer Zeit entstanden ist (1965), als die meisten von ihnen noch gar nicht auf der Welt waren? Über einen Song von einem Singersongwriter, über den man, wie in einem eingestreuten Interview mit dem wie immer bei FADC auf der Bühne ebenfalls präsenten Regisseur Tomas Schweigen, Bühnenbildner Stephan Weber und Lichtdesigner Demian Wohler zum Teil gar nicht wusste, dass der noch lebt? Interessiert die Geschichte, die in diesem Song erzählt wird (und über die es soviel zu rätseln gibt)? Sie handelt, knapp zusammengefasst, von einer Frau, die aus ihrem luxuriösen Partyleben herausgerissen wird und in der Gosse landet, in der Welt, über die sie sich zuvor stets herablassend geäussert hatte. Oder geht es um ein Panoptikum der Zeit des vermeintlich grossen Aufbruchs, für den dieser Song Sinnbild ist? Oder aber wird eine Art Biografie von Dylan erzählt?
Eine verrückte Geschichts-Charade
Nun: Aus dem Songtext irgend eine Geschichte zu basteln, das war den Theaterleuten zum Glück etwas zu banal (darüber zu diskutieren, was denn auch zwischendurch engagiert getan wird, ist um einiges ergiebiger). Beim Versuch, das Leben und Wesen von Bob Dylan nachzuzeichnen, hätte sich das Theater ganz gewiss übernommen. Zwar tritt der grosse Musiker durchaus in Erscheinung. Als blutjunger schlaksiger Newcomer in der schlecht sitzenden Lederjacke, vor allem aber im gewohnten Outfit mit einem schwarzen Anzug und Sonnenbrille (Kostüme: Anne Buffetrille), oftmals in doppelter Ausführung, einmal gar gleich versechsfacht. Aber stets bleibt es eine undurchsichtige Überfigur, die geheimnisvolle Symbolfigur für die grosse Befreiung, die diese Rolle nicht spielen will. Bleibt also ein Blick auf die US-amerikanische Geschichte der 1960er-Jahre, auf die vermeintliche Aufbruchszeit, die mit «Like a Rolling Stone» eine Art Inbegriff bekommen hat.
Diesen Strang lebt das Ensemble auf der Bühne mit wunderbarer Spiellust und natürlich mit viel live gesungener und gespielter Musik aus dieser Zeit (mit deutschen Übertiteln) aus. Behände springen die Schauspielerinnen und Schauspieler in der stimmungsvollen Wüsteszenerie mit Kakteen, verdorrten Büschen und einem Wohnwagen (Bühne: Stephan Weber) von Rolle zur Rolle, präsentieren sie ein prall gefülltes Geschichtspanoptikum. Zu erleben sind die grossen Ikonen der 1960er: Woody Guthrie (Silvester von Hösslin), John F. Kennedy (Philippe Graff) und seine Jaqueline (Vera von Gunten), Allen Ginsberg (Jesse Inman), Andy Warhol (Graff) und seine Muse Edie Sedgwick (Zoe Hutmacher), John Lennon (von Hösslin), Dylans Manager Albert Grossman (Martin Hug), Janis Joplin (Joanna Kapsch), der Vietnam-Soldat (von Hösslin) und der erste Mann auf dem Mond (Hutmacher). Diese Aufzählung ist unvollständig.
Ironisch-skeptische Distanz
Diese legendenumwobene Aufbruchzeit wird von den Theaterleuten, die alle der Post-Popgeneration angehören, aus einer skeptisch-ironischer Distanz heraus erzählt. «Wir können die Menschen nicht verändern», sagt einmal ein Dylan auf der Bühne zum andern. Ja, ihm gehe es in erster Linie darum herauszufinden, was mit ihm selber los sei, antwortet der andere. Den liebevoll gezeichneten Karikaturen der Polit- und Kulturikonen zu folgen, bereitet zwar einiges an Vergnügen – das Ensemble zeigt eine über ansteckende Freude am Verkleidungsspiel. Die ironische Distanz birgt aber auch die Gefahr, dass das Ganze etwas zu sehr an der Oberfläche haften bleibt und letztlich harmlos wirkt. Nur ab und zu finden die Theaterleute ein Bild, das auch in tiefere Gefilde zielt. Etwa wenn der Vietnam-Soldat zum Protestslogan «We Can Change the World» durch den Dreck kriecht, die Live-Kamera auf der Bühne aber stets auf dem Partygirl bleibt, das im Drogenrausch herumtorkelt und ständig zu Boden fällt. Die geldgeschwängerte Hochglanzwelt der Pop-Art macht die politische Aufbruchstimmung der Pop-Generation zunichte.
Überdauert aber hat, so könnte man die Quintessenz des Abends interpretieren, die musikalische Ikone dieser Zeit. Eben der Song «Like a Rolling Stone». Lange bleibt man im Ungewissen, ob es diesen Song überhaupt zu hören gibt. Ganz zu Beginn des Abends sind zwei junge Menschen zu sehen, die sich den Song über Ohrhörer, also für das Publikum nicht hörbar, reinziehen, ihn aber so innig nachvollziehen, dass er in der Erinnerung wachgerufen wird. In der Mitte des Abends taucht aus der Unterbühne das Studio auf, in dem der berühmte Song aufgenommen wurde. Doch der Klang der Instrumente bleibt hinter der Glaswand für das Publikum stumm. Erst ganz zum Schluss bekommt man ihn doch noch zu hören. Dunkel wird's, einzig ein kleines Lagerfeuer sorgt noch für ein kleines bisschen Licht. Und es beginnt: «Once upon a time ...» Erst leise, dann langsam stets etwas lauter. Man muss nicht Dylan-Fan gewesen sein, um in diesem Moment zu begreifen, nachzuvollziehen, dass es sich bei «Like a Rolling Stone» um ein Meisterwerk handelt – eines das in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauern noch lange nachklingen wird.
(Tageswoche, Dominique Spirgi, 9.2.2013)
Mundharmonika am Lagerfeuer
Der junge Bob Dylan, die Musik der Sechzigerjahre, Protest und Aufbruch: um das Gefühl einer Epoche geht es in dem neuen Theaterabend von Tomas Schweigen und «Faraday Cage» am Theater Basel.
Eine Wüstenlandschaft. Ein Caravan mit Vorhängen an den Fenstern hat sich zwischen trockene Stauden und viel Sand verirrt. Ein verlorenes Country evoziert die Bühne im Theater Basel, aber auch ein Versprechen: von Weite, von Aufbruch. Dem Lebensgefühl einer jungen Generation wollen sich Tomas Schweigen und «Faraday Cage» in ihrer jüngsten Produktion im Theater Basel annähern - jener Generation, die in den sechziger Jahren jung war, erst noch tanzen sie brav und züchtig Squaredance-Schritte zum Folksong, aber schon treibt es sie im Innern: auf und davon, in die Weite der Welt, like a Rolling Stone. Rollende Steine setzen kein Moos an, sagte man in den USA, und meinte mit dem Begriff auch Landstreicher. Auf in eine ungewisse, aber gewiss bessere Zukunft.
Die Truppe im Theater Basel geht den Stoff von verschiedenen Seiten an. Schicht um Schicht legt sie auf der Bühne frei: Da sind die Vorgänger, die einen Bob Dylan ermöglichten. Da ist das Nachspüren, wer war dieser Bob Dylan denn, der 1965 diesen Jahrhundertsong schrieb? Wer waren die Leute in seinem Umfeld, die Protestsänger, Woodie Guthrie, Joan Baez, sie kommen alle auf die Bühne: Alan Ginsberg, Andy Warhol, John F. Kennedy - Namen, die klingen wie Mythen.
Die Sehnsucht nach Authentizität
Die Auseinandersetzung mit Bob Dylan und seinem Song «Like A Rolling Stone» im Theater Basel ist eine historische Spurensuche. Wie fühlten sich die famosen Sechziger an? Es ist das Einfühlen einer jungen Generation von heute in eine ältere, naturgemäss ist es ein musikalisches Einfühlen. Und man muss es einmal mehr sagen: sie spielen und singen fabelhaft gut! Die von Sympathie getragene Annäherung an eine Zeit und ihre Träume. In den bewegendsten Momenten an diesem Abend stellt sich so etwas ein wie eine generationenübergreifende Sehnsucht: nach Authentizität, nach der utopischen Veränderung.
Kein Abend für Gralshüter
Und Bob Dylan in allem dem? Er bleibt klugerweise die Leerstelle, um die herum das Ganze konzipiert ist. Er macht bloss Stippvisiten auf der Bühne. Seine Musik ist die Musik, die man im Aufnahmestudio entstehen sieht, aber nicht hört; die Musik im Ohrstöpsel, die nur vermittelt zu hören ist: wenn die Schauspieler, Kopfhörer auf den Ohren, laut mitsingen. Man mag nun einwenden, das sei alles doch ein wenig dünn. Tatsächlich werden eingefleischte Dylanologen kaum zufrieden sein, und die Liebhaber historischer Musikaufnahmen werden auf die bessere Version in ihrem Plattenschrank verweisen. Dadurch, dass der Abend bei der Spurensuche bleibt und keine eigene Geschichte erzählt (zum Beispiel: eine Theatertruppe will einen Dylansong aufnehmen) verliert er sich zwischendurch in der Unübersichtlichkeit des Materials und büsst an Spannung ein. Möglicherweise hätte eine offensivere Selbstbefragung der Rolle als Schauspieler gut getan, wie sie «Far A Day Cage» in früheren Arbeiten stärker pflegte.
Zauberhaft/b]
Aber - und dies ist ein grosses Aber: Sie entführen uns auf die zauberhafteste Weise in eine Epoche, die wir fern glaubten und deren Träume uns doch ganz nah sind. In die zunehmende Unübersichtlichkeit einer Dekade, in der die Popkultur ihren ersten Auftritt hatte. Zu den Hippies, in Andy Warhols «Factory», auf den Mond. Und ans Lagerfeuer in der Wüste, an dem der originale Bob Dylan am Ende - so viel Hommage muss sein - das letzte Wort hat.
(SFR 2, Andreas Klaeui, 11.2.2013)
Like A Rolling Stone
Bob Dylans Song ist so zeitlos, dass ihn das Theater Basel fast 50 Jahre später auf die Bühne bringt
„Ich finde, das hört sich gut an“, sagte Produzent Tom Wilson am 6. Juni 1965 in einem Tonstudio in New York, als die 6 Minuten und 34 Sekunden auf Band waren. Es sollte weit mehr als nur „gut“ sein. Das Lied, das der junge Bob Dylan, damals 25 Jahre alt, an diesem Tag aufnahm, markierte neben seinem musikalischen Übergang vom Folk in die Sphäre des Rock wie kaum ein anderer Song der 1960er-Jahre die grossen Veränderungen, die sich anbahnten. Von diesem unaufhaltsamen Fliessprozess kündet schon der Titel „Like A Rolling Stone“.
Das Lied handelt von „Miss Lonely“, einem Oberklassenmädchen, das in schönen Kleidern und bestens Schulen aufwuchs und gegenüber den Obdachlosen, den Tramps und all jednen, die unter einem weniger hellen Stern in die Welt traten, einen misstrauischen Dünkel pflegte – bis sie selbst auf der Strasse landet. „How doese it feel/to be on your own/with no direction home/a complete unknown/like a rolling stone?“ fragt der Refrain rhetorisch.
Mit dem Song empörte Dylan seine Plattenbosse, weil er damit sein Image als Folk-Protestsänger über den Haufen wart und weil der Song viel zu lang für das Radiohit-Format war. Dass das Grundthema des Songs über seine Gegenwart hinaus leuchten sollte, zeigte sich 40 Jahre später. Da wählte das amerikanische Musikmagazin „Rolling Stone“ sekundiert von einer 172-köpfigen Jury, zum besten Song aller Zeiten. Im selben Jahr veröffentlichte Reil Mercus, Poptheoretiker un einer der bedeutendsten Musikjournalisten der USA, die Wirkungsgeschichte des Stücks. In seinem Buch „Like A Rolling Stone – die Biographie eines Songs“ rechechiert Marcus, der sich jahrzentelang mit Dylans Werk beschäftigte, nicht nur den Entstehungsprozess nach, sondern verfolte seine Spuren bis ins 21. Jahrhundert. Neben dem ganzen popenzyklopädischen Wissen, das Marcus en passant aufbereitet, adelt er Dylans Song als eine Prophetie: Studentenrevolte, Bürgerrechtsbewegung, Warnung wie Verheissung der kommenden sozialen Ordnungen . von all dem, folgt man Marcus, erzählte Dylans Schnurrgesang.
Darüber hinaus ist „Like A Rolling Stone“ über den gesellschaftspolitischen Ton hinaus eine Parabel über die Entfremdung des Einzelnen, die ihn befällt, wenn die haltende Strukturen erodieren. „How does it feel/to be on your own?“ ist, so gelesen, nicht nur die zynische Frage an die gefallenen Mächtigen, sondern kündet hoffnungvoll von Aufbruch, Utopie und der Suche nach neuen Möglichkeiten.
Auf der Bühne
Unter der Regie von Tomas Schweigen und der Gruppe Far A Day Cage bringt das Theater Basel „Like A Rolling Stone“ auf die Bühne. Schweigen geht im Stück dem Versprechen des Songs von einer neuen Zeit nach, die dann noch nicht wie verheissen eingetreten ist.
(Tages Woche, Andreas Schneitter, 8.2.1013)
Der Trip zum heiligen Abgrund
Tomas Schweigen und Far A Day Cage kullern "Like a Rolling Stone" durch die 60er-Jahre
Bob Dylan war schon immer ein Mann, der Antworten auf Fragen nach dem Ursprung seiner Songs verächtlich in den Wind blies. Von daher darf das Publikum von diesem Projekt nicht das Falsche erwarten. "Like A Rolling Stone" ist zwar ein Theaterabend über diesen Song. Über ganze sechs Minuten, mit denen der junge Bob Dylan Musikgeschichte geschrieben hat. Aber Regisseur Tomas Schweigen und seine ans Theater Basel assoziierte Gruppe Far A Day Cage hüten sich davor, zu den Lyrics einen Geschichte zu erfinden oder, was noch platter wäre, Bob Dylans Leben nachzuerzählen.
Natürlich kommen Far A Day Cage an Bob Dylan nicht vorbei. Aber stärker als eine Biografie beherrscht ein Lebensgefühl die Bühne. Mitten in einer amerikanischen Wüstenkulisse stehen ein schäbiger Wohnwagen und ein Ford Taunus 15M, ein Oldtimer-Modell mit abgesägter Motorhaube. Stephan Weber's Bühne riecht nach Sixties, nach Aufbruch, nach dem Freiheitsdrang der Folk-Szene. Und damit es nicht zu nostalgisch duftet, stellen sich Vera von Gunten und Silvester von Hösslin an die Rampe, sie im Schürzenkleid, er in Bundfalten-Cordhosen, sie teilen sich "Like a Rolling Stone" via Knopf im Ohr, gehen ab wie Trockenblumen. Und das Publikum hört nichts, sieht nur zwei Teenager-Oltimer ein bisschen albern in den Knien wippen, ein paar Songfetzen mitsummen. Sechs zähe Minuten lang.
Ohnehin lässt der Aufbruch als Stimmung auf sich warten. Freie Liebe findet allenfalls als Predigt des rauschbärtigen Gurus vom Wohnwagendach herab statt. Den gibt Jesse Inman. Derweil trägt Silvester von Hösslins Woody Guthrie seine Rebellion unterm steifen Hut spazieren.
Beatnik und Babyface
Es war, und das zeigt Far A Day Cage unmissverständlich, eine verklemmte Szene, in die im Jahr 1961 ein 20-jähriger Schlaks mit schwarzen Locken, schwarzem Jackett und schwarzer Brille hineingestolpert ist. Es war nicht ganz klar, steht da ein wahrer Beatnik oder nur eine krächzendes Babyface. Trotzdem kabelt Pressemann Martin Hug einen Hymne auf die Intensität dieses Mannes an die "New York Times" durch. Bob Dylan ist erfunden. Und es kommt Bewegung in die Zeit, Martin Luther King hat einen Traum, die Protestsängerin Joan Baez (Vera von Gunten) zankt mit Dylan über Wutbürgerpflichten und Ich-AG-Denken, Philippe Graffs John F. Kennedy funkt dazwischen, stolpert über seine Füsse und hehren Worte - eine Witzfigur. Als ihn drei Kugelblitze niederstrecken, zerrt Jackie Kennedy ihren toten Gatten an der Krawatte hinter sich her, als wollte sie die Leiche noch teeren und federn.
Auch Sam Cooke bekommt sein Special, prophezeit der farbigen Bürgerrechtsbewegung "A Chance is Gonna Come", mit Jesse Inmans wunderbaren Leadvocals. Das was 1964, kurz bevor Cooke erschossen wurde, aber noch vor "Like a Rolling Stone". Den Song spielt Bob Dylan 1965 im Studio ein. Far A Day Cage fahren dazu einen Glaskasten aus dem körnigen Wüstensand und synchronisieren das Making-of des magischen Moments, während die Band in der Box zur Pantomime verurteilt ist.
Höhen und Tiefen
Und - how does it feel? Haben Far A Day Cage ihren Ruf, zu den musikalischsten Kollektiven zu gehören, die der Theaterbetrieb derzeit zu bieten hat, selbst übertroffen? Ja und nein. Musikalisch hat Tomas Schweigens Crew zweifellos ein paar herrlich roh geschliffene Diamanten vorzuweisen. Wobei die Top-Gesangsnummern aufs Konto einer Verstärkung aus dem Ensemble gehen: Joanna Kapsch ist eine unschlagbare Janis Joplin. Mit Dorgen abgefüllt, absolut genial und absolut gefärdet, schleudert ihre Janis ein zu allem entschlossenes "Move Over" in den Saal, schwankt schwer, soult gross und klappt brutal zusammen. Auch so kann ein Lied ein Ende finden.
Und dennoch. Dennoch hebt der Abend nicht ab. Far A Day Cage haben sich programmatisch aussschliesslich bei Dylan-Zitaten, abgefilmten Begegnungen , überlieferten Interviews und bei einer Radio Show bedient, in der Dylan selbst in den Nullerjahren alte Platten und Geschichten ausgrub. Aber zwischen den zitierten Sequenzen fehlt der Inszenierung der Zug, der zwingende Zusammenhang, einiges verpufft, einiges soll die Unbedaftheit der Szene entlarven und wirkt doch selbst unbedarft, vor lauter Tratsch und Talk aus der grossen nichtssagenden Bohème-Factory.
Gegen Ende der 60er-Jahre ist die Luft raus aus dem euphorischen Aufbruchgefühl der Dylan-Jugend. Jeder ist mich sich beschäftigt. Es fällt kaum auf, dass die Kampffeministin Valerie Solanas auf Andy Warhol schiesst und Jesse Inmans Dylan auf der Rolex gegen einen Baum knattert. Am Ende kullert das Ensemble "Like a Rolling Stone" einem heiligen Abgrund entgegen. Jeder ist mit seinem eigenen Trip beschäftigt. Un der blaue Planet grüsst von ferne.
(BAZ, Stephan Reuter, 11.2.2013)