Bühnen(reifes)-Radio


Die erste Radiosendung des Theaterensembles Far A Day Cage begeisterte mit Ideenreichtum, Sprachfertigkeit und Humor.
Ist es utopisch, wenn fünf junge Theaterschaffende sechs Radiosendungen zum Thema «Utopie» machen wollen und beabsichtigen, diese jeweils gleich live zu senden? Oder gilt es «als ein undurchführbarer Plan» (nach Duden), wenn das Ganze in einem Theater vor Publikum stattfindet? Nein, es ist möglich. Mit «Salon Utopica #1-6, Ihre audio-visionäre Sondersendung» hat das Theaterensemble Far A Day Cage unter der Regie von Tomas Schweigen nicht nur gezeigt, dass es gelingt, sondern dass es dynamisch, abwechslungsreich und äusserst witzig ist, einer solchen Radiosendung beizuwohnen.
Die vier Schauspieler Philippe Graff, Anna König, Vera von Gunten und Tomas Schweigen zeigen in ihrer ersten Livesendung, wie vielfältig Radiomachen sein kann. Urban Junior ist für die Livemusikeinlagen zuständig, die andern vier fürs Schwatzen, Tanzen und Geräuschemachen. Sie führen mit Spielfreude und überzeugender sprachlicher Fertigkeit durch die Sendung.
Mit den Zuschauern holen sie sich zudem eine unbekannte Komponente ins Stück, was es spontaner und wenig vorhersehbar macht, aber auch einiges an Flexibilät seitens der Gruppe fordert. Sie beweist sich und es gelingt dem Ensemble, das Publikum von Anfang an mitzunehmen - denn es ist ja kein Theaterstück, sondern eine Radiosendung. Und dieses Spiel zwischen der Fiktion des Schauspiels und der Realität des Radiomachens ist faszinierend.
Bevor es bei Kanal K live auf Sendung geht, wird das Publikum instruiert: etwa, dass die Frauen im Saal zu einem gegebenen Zeitpunkt «Donna nobis» zu singen hätten. Das Publikum macht zwar brav mit, aber es bleibt verhalten.
In jeder Sendung hat das Ensemble einen Studiogast zu Besuch, alle sechs Gäste sind eine Art Utopie-Experte. Am ersten Abend ist das Prof. Michael Hagner (Wissenschaftshistoriker und Hirnforscher, ETH Zürich). In verschiedenen Kurzinterviews versuchen die Schauspieler zusammen mit Hagner herauszufinden, ob wohl die Wissenschaft schuld sei, dass wir keine Utopien mehr haben, oder ob gerade die Wissenschaft Utopie sei. Dabei präsentiert sich ein äusserst redegewandter, freundlicher Professor zum einen. Zum andern sind seinen Erläuterungen über Hirnforschung, Zufälle oder das Leben nach dem Tod sehr spannend. In der lebendigen Sendung lassen ihn die Radiomacher jedoch zu wenig zu Wort kommen, zu sehr scheinen sie unter Zeitdruck zu stehen.
Gerade im ersten Teil der Sendung geht es in der Tat rasant voran: «Salon Utopica» begeistert durch viele skurrile Einfälle und raffiniert fingierte Situationen. Die Sendung hat Drive, die Gruppe harmoniert und die Ungewissheit, ob der Improvisationscharakter Programm oder Unsicherheit ist, weil es ja der erste Versuch einer Live-Sendung ist, gefällt. Während anderthalb Stunden ist man drin in der Sendung, unterhalten durch meist unschuldigen, aber kreativen Humor, durch eine Mischung aus naivem Denken und subtiler Ironie. Trotzdem hat die Gruppe mit den folgenden Sendungen sicherlich noch die Möglichkeit, das Konzept weiter auszuschöpfen, denn gegen Ende der Sendung lässt die Spannkraft allmählich nach.
Was aber ist am Schluss mit der Utopie? Das Ensemble sucht zusammen mit dem Professor und dem Publikum nach möglichen Lösungsansätzen, wie wir wieder utopischer sein können. Und ist das nicht an sich schon ein Stück zurückgewonnener Utopie?
(Aargauer Zeitung; 3. November 2006/ Geraldine Capaul)

Theater Tuchlaube beheimatet Utopien


Jedes Jahr ermöglicht die Tuchlaube jungen Theaterschaffenden eine Koproduktion. Heuer sind das Far A Day Cage mit «Salon Utopica».
Vor gut einem Jahr hat das Aarauer Theater Tuchlaube das Produktionsgefäss «Residenz U30» ins Leben gerufen. Dieser mehrwöchige «Atelieraufenthalt» in Aarau soll jungen Theaterschaffenden eine Möglichkeit bieten, die Infrastruktur und das Netzwerk der Tuchlaube zu nutzen und so ein ambitioniertes Theaterprojekt zur Aufführungsreife zu bringen. Das Ergebnis ist eine Koproduktion, bei der die eingeladene Gruppe jedoch die künstlerische Verantwortung trägt.
Lieblinge der Theaterkritik
Das erste auserwählte Projekt, «Late Nite» von Matthias Lehmann, feierte am 17. September 2005 Premiere. In diesem Jahr wurde «Salon Utopica» von Far A Day Cage Theaterproduktionen erkoren. Far A Day Cage sind in der Tuchlaube keine Unbekannten, haben sie hier im April 2005 doch bereits den Premio-Förderpreis gewonnen.
Der Regisseur Tomas Schweigen und die Schauspielerin Vera von Gunten bilden den festen Kern dieser Theaterproduktionsgruppe. Far A Day Cage sind in kurzer Zeit zu Lieblingen des experimentierfreudigen Publikums und nicht zuletzt der Kritik avanciert, was neben der AZ auch die sonst nüchterne «NZZ» zu Begeisterungsstürmen («Die Inszenierung zählt zum Besten, was in diesem Land in dieser Spielzeit zu sehen ist . . .») hinriss.
Ein gemeinsames Merkmal früherer Projekte war deren Hintergründigkeit und das Spiel auf mehreren Ebenen. Die szenische Radioshow «Salon Utopica» macht hier keine Ausnahme. Die vier Schauspielerinnen und Schauspieler spielen auf der Bühne, dass sie in einem Radiostudio eine Sendung zum Thema «Utopielosigkeit in der heutigen Zeit» aufnehmen. Auf der anderen Seite wird diese Sendung zeitgleich auf dem Aarauer Sender Kanal K übertragen, was die Schauspieler zu «realen» Radiomoderatoren mit «realen» Problemen macht. Zudem ist in jeder der sechs Aufführungen/Sendungen ein anderer wirklicher Studiogast da, der erzählt, wie er zu einer Utopie kommt und was es zu beachten gilt, wenn man seine Utopie in die Tat umsetzen will.
Dies und viel weitreichendere «philosophische Über- und Unterbauten» klingen im Gespräch mit dem versierten Theatertheoretiker Tomas Schweigen reichlich abstrakt. Wie der Verfasser dieser Zeilen aber aus eigener Erfahrung bestätigen kann, erlebt das Publikum während der Aufführung vor allem die enorme Spielfreude und den hintergründigen Witz der Inszenierungen von Far A Day Cage. Auch dieses Mal entsteht wieder ein Stück, das man sich wegen seines Detailreichtums mehrfach ansehen kann; dies auch, weil die sechs Aufführungen von «Salon Utopia» mit wechselnden Gästen und hohem Improvisationsanteil im Grunde alle Premieren sind.
(Mittelland Zeitung, 1. November 2006/ Stefan Worminghaus)